Fragmente

Geschichtensammlung

  • unser Universum
  • nutzlos
  • Chrysalis
  • die unwiderlegbare Macht des Wortes
  • Wort mit fünf Buchstaben
  • Leere
  • allein
  • Schmetterlingseffekt
  • Kintsugi
  • was ich bin und was ich tue

unser Universum

Wenn ich etwas sagen könnte; wenn ich ein paar Worte äußern dürfte; wenn es mir tatsächlich möglich wäre, anderen etwas mitzuteilen und tatsächlich vernommen zu werden, vielleicht sogar verstanden; wenn ich herauszufinden versuche, wer ich bin; wenn ich begreife, dass ich dreißig Jahre ein Teil dieser Welt bin, dass mein ruheloser Geist und mein müder Körper dreißig Jahre ein Ganzes bilden, dass meine Seele dreißig Jahre auf der Suche ist; wenn ich verstehe, dass ich alles beeinflussen aber nichts verändern kann, dass ich eigentlich kaum die Gegenwart genieße, dass ich zu sehr an der Vergangenheit hänge, dass ich zu viel für die Zukunft plane, dass ich das Hier und Jetzt voll auskosten sollte; wenn mir klar wird, dass ich manchmal falsch handle, dass ich meine Fehler akzeptieren muss, dass ich meine Talente schätzen kann, dass es mir möglich ist zu helfen; wenn mich überkommt, dass ich meine eigene Geschichte kreiere, dass meine Wünsche wahr werden, dass der dunkelste Moment nur ein Wendepunkt ist, dass auch das hellste Ziel bloß den Weg darstellt, dass ich im Schicksal verwoben bin; wenn ich gleichzeitig lachend und weinend Zeichen für Zeichen erschaffe; wenn ich für die gewaltigsten Veränderungen dankbar bin und um die unbedeutendsten Dinge bitte; wenn ich in der Lage wäre, eine Botschaft in die Welt zu setzen; wenn ich tatsächlich ein paar Worte äußern dürfte, wenn ich wirklich etwas sagen könnte ... dann würde ich schweigen – ich würde die Unendlichkeit umarmen, meinen ganzen Schmerz sowie meine ganze Freude in meine Stille legen, und ich würde warten; warten, weil ich verstehen will, was mein Herz mir zuflüstert; weil ich wissen will, was das Universum weiß.


nutzlos

Nun, sich Wissen anzueignen ist gut, aber grundsätzlich nutzlos. Angewendet muss es werden, damit es dienlich ist.

Ich könnte jahrelang den Himmel beobachten, den Sonnenaufgang bewundern, die Wolken verehren, die Schönheit verinnerlichen, und wüsste doch nicht, welche Farben ich mischen sollte oder welche Formen ich bauen sollte, würde ich plötzlich vor einer Leinwand stehen.

Ich könnte monatelang etwas über Kriege lesen, etwas über Schlachtpläne lernen, etwas über Gerechtigkeit herausfinden, etwas über Grausamkeit erfahren, und wüsste doch nicht, wie ich handeln sollte, würde ich plötzlich in einen Kampf verwickelt sein und die schwierigsten Entscheidungen treffen müssen.

Ich könnte wochenlang die leckersten Speisen verzehren, die teuersten Gewürze ausprobieren, die merkwürdigsten Ratschläge annehmen, die beliebtesten Rezepte sammeln, und wüsste doch nicht, ob ich mich über den ersten Schritt eines ganzen Menüs trauen würde.

Machen.

Versagen.

Lernen.

Noch einmal.

So funktioniert das.

Und all die Dinge, die ich über dich erfahren und gelernt habe, die ich bewundert und verinnerlicht habe, die ich angenommen und gesammelt habe, – was deine Lieblingsfarbe ist, wel-che Art von Humor du magst, wie du am liebsten deine Samstage verbringst, was du dir am meisten wünscht – sind nutzlos, weil ich sie nicht anwenden kann.


Chrysalis

Was macht dir Angst? Fürchtest du dich vor dem Tod?

Dass alles ein Ende hat? Dass du alles verlieren könntest, was dir wichtig ist? Dass du nichts hinterlässt, was an dich erinnert? Dass du verschwindest in der Sinnlosigkeit dieser Welt?

Weder die Vergangenheit noch die Zukunft machen mir Angst. Ich fürchte das Jetzt. Keine einzige Veränderung könnte so problematisch sein wie es der Stillstand ist. Nicht die Herausforderungen töten uns, nicht die Schmerzen, nicht die Verletzungen, sondern die Ungewissheit. Und doch lässt sich nichts tun, als dies alles zu akzeptieren.

Dunkelheit macht mir keine Angst. Ich fürchte die Helligkeit, wie sie alles beleuchtet, alles durchdringt, alles sichtbar macht, jede Unvollkommenheit, jeden Makel, wie sie mich blendet, wie sie mich sticht, wie sie über mich hereinbricht. Wenn das Licht versiegt, ist das ein Segen für mich. In der Finsternis ist alles gleich, da ist lediglich die Fantasie in meinem Kopf mein Feind.

Stille macht mir keine Angst. Ich fürchte den Lärm, wie er alles erschüttert, alles einnimmt, alles hörbar macht, jedes Geheimnis, jeden Zweifel, wie er mich betäubt, wie er mich schlägt, wie er unter mir bebt. Wenn die Geräusche verstummen, ist das ein Segen für mich. In der Ruhe ist alles gleich, da ist lediglich das Pochen meines Herzens mein Feind.

Genau, der Tod macht mir keine Angst. Ich fürchte das Leben, wie es mich tötet. Wie es mich im Stillstand nach Veränderungen sehnen lässt und mich während Herausforderungen um Stille und Dunkelheit flehen lässt. Wie die Vergangenheit unter mir bebt. Wie die Zukunft über mich hereinbricht. Wie jede einzelne Tat und jeder einzelne Gedanke Ungewissheit verursacht.

Im Tode sind alle gleich. Im Leben bin ich mir selbst ein Feind.

Aber der Tod ist nicht allgegenwärtig. Natürlich sind auch Stille und Dunkelheit nicht allgegenwärtig. Ich ebenso nicht.

Du bist nicht allgegenwärtig. Und wie willst du etwas lernen, ohne etwas auszuprobieren? Wie willst du zu einem Diamanten werden, wenn du dich davor fürchtest, geschliffen zu werden?

Wie willst du finden, ohne zu suchen?


die unwiderlegbare Macht des Wortes

Es gab eine Ära, da war das Wort mächtig.

Damals, als die Prinzessin vom Mond den Kaiser von Japan mit einem einzigen Wort zu eigen machen konnte. Damals, als der abendländische Prinz innerhalb von sieben Tagen ein ganzes Reich mit einem einzigen Wort aufstellen konnte. Damals, als der blondgelockte Entdecker seinen Widersacher mit einem einzigen Wort in Stücke reißen konnte. Damals, als die mächtigste Elfe Irlands ein Hügelgrab mit einem einzigen Wort errichten konnten.

Mit einem Kompliment war es möglich, sich den Posten eines Stadtführers zu sichern. Sollte jemand Bestimmtes leiden, musste bloß ein schrecklicher Fluch ausgesprochen werden. Kranke konnten mithilfe melodischer Laute geheilt werden. Wer sich in Schwierigkeiten befand, flehte um Hilfe, und schon wurde Unterstützung gewährt. Voraussetzung war nur, dass jedes einzelne Wort von Herzen kam.

Schließlich entdeckten die Menschen, dass die gesprochenen Worte nicht den eigenen Werten entsprechen müssen. Dies war der Zeitpunkt, an dem Worte und deren Bedeutungen auseinandergerissen wurden. Alles, was auf diesem Planeten wandelte, lernte zu verheimlichen, zu hasten und zu zögern, zu lügen. Und selbst aufrichtige Worte besaßen bald keine Macht mehr.

Es scheint, wir Menschen sind zu verschieden geworden. Dinge wie Abstammung oder Erfahrungen prägen uns und lassen uns bestimmte Werte formen. Wir beschließen, dass bestimmte Worte einen positiven oder negativen Einfluss auf uns haben, weshalb sie zu oft benutzt oder aber gemieden werden. Sprache war erst ein Werkzeug, dann Kunst, und ist nun Mittel zur Identifikation, und niemanden scheint es zu kümmern.

Heute ist die Welt von falschen Worten zerfressen. Lügen, Sarkasmus, Euphemismus, Sprichwörter; sie alle haben ihr grässliches Werk getan. Jeder einzelne Satz muss nun mit Füllwörtern versetzt werden, um klar zu machen, was gemeint ist. Jede einzelne Aussage kann nun auf zig verschiedene Arten interpretiert werden. Nichts ist so, wie es einmal war.

Damals, als »Danke!« noch ein Vertrag unter Verbündeten war. Damals, als »Auf uns!« noch ein Appell an die Götter war. Damals, als »Ich liebe dich!« noch eine lebenslange Bindung war. Damals, als »Tu was du willst!« noch ein magischer Spruch war.

Es gab eine Ära, da war das Wort mächtig. Aber es ist nicht jene, in der ich lebe.


Wort mit fünf Buchstaben

Es tut weh, wenn man auf der Suche ist.

Nach etwas, oder jemandem. Man weiß nicht, wie man es findet. Wo man es findet. Wann man es findet. Man weiß nicht einmal, ob man es findet. Man kann sich nicht sicher sein, dass es auf einen wartet. Man weiß nur, dass es unglaublich wichtig ist. Und das schmerzt mehr als alles andere.

Ich würde gerne wissen, ob ich der einzige Mensch bin, der so empfindet. Von morgens nach dem Aufwachen bis abends vor dem Einschlafen denke ich daran. An dieses eine wichtige Etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist. Eine bestimmte Person möglicherweise? Könnte es ein Ding sein? Ob es irgendein Ort oder irgendeine Zeit ist? Etwas, das es zu erledigen gilt?

Ohne es fühle ich mich leer, unvollkommen. Wie eine Person ohne Seele, ein Frühling ohne Blüten, ein Sommer ohne Wärme, ein Herbst ohne Wind, ein Winter ohne Schnee, eine fade Suppe, ein zähes Buch, eine langweilige Unterhaltung, wie eine Tätigkeit ohne Sinn sozusagen.

Und die Leute, die mit allem, was sie haben, unzufrieden sind? Haben sie nichts, wonach sie suchen? Oder haben sie es aufgegeben? Haben sie sich ablenken lassen? Sich einreden lassen, dass es falsch ist? Dass sie sich auf etwas anderes konzentrieren müssten? Sind sie vom eigenen Weg abgekommen, weil ihnen andere deren Weg aufgezwungen haben? Haben sie vergessen, was es heißt, zu suchen?

Vielleicht können wir es nicht finden. Vielleicht müssen wir gefunden werden. Wir müssen! Egal, welche Aufgaben wir bewältigen müssen. Egal, wohin wir gehen müssen. Egal, wie lange wir warten müssen. Egal, wie viele Gefühle wir durchleben und vergessen müssen. Wir dürfen es nicht missachten!

In mir befindet sich ein kleiner Funke, nichts anderes als die große Sternschnuppe da draußen, und das ist, was mich antreibt. Selbst in der finstersten Nacht hören die beiden niemals auf zu leuchten.

Sucht ihr nach Gesundheit oder nach Freiheit oder nach Arbeit oder nach Berufung oder nach Liebe, so wie ich? Alle sind mit Vorteilen und Nachteilen behaftet. Sie machen aus, was ich bin. Wie kann das gleichzeitig so bekräftigend und so ermüdend sein? Warum muss es sich so anfühlen?

Ich würde gerne wissen, ob ich der einzige Mensch bin, der so empfindet. Werden wir morgen noch nach etwas suchen? Haben wir gestern schon etwas gefunden? Man weiß nur, dass es unglaublich wichtig ist.

Es tut weh. Also sagt mir.

Wie fühlt es sich an?

Dieses eine Wort mit fünf Buchstaben!

Glück.


Leere

Du hättest bleiben sollen, sagst du dir. Aber du bist gegangen.

Du hast die Zeichen ignoriert, obwohl die Luft voll davon war, wie der penetrante Duft einer Blumenwiese, wenn der Wind direkt in deine Richtung weht. Du hast die Person, die du liebst, im Stich gelassen. Du hast den Menschen, den du vermisst, beiseitegeschoben. Du hast nicht gewusst, wie du helfen sollst. Ob du überhaupt helfen darfst. Kannst dir ja nicht mal selbst helfen, sagst du dir.

Als die Welt geschlafen hat, hast du das Abenteuer gesucht. Immer versucht, ein Stückchen mehr erlebt zu haben, wenn alle anderen aufwachen und bloß geträumt haben. Vielleicht hättest du nur ein einziges Mal innehalten sollen. Auch ein bisschen fantasieren. Träume, die länger anhalten als nur eine Nacht, denkst du dir. Nichts allzu Aufregendes, doch vielleicht etwas, das dir Sicherheit beschert. Es gibt Dinge, die du haben kannst aber nicht behalten. Aber es wäre doch schön, etwas behalten zu können.

Stumm wandelst du durch das leere Haus, Zimmer für Zimmer, wie betäubt. All die Erinnerungen ziehen dir den Boden unter den Füßen weg. Zu viele leere Stühle, auf denen niemand sitzt. Ein zerbrochener Bilderrahmen, eine tränenbenetzte Nachricht, ein durchgestrichenes Wort, alles gleitet dir aus den Fingern, als hätte es das nie gegeben. Wäre es nicht schön, etwas behalten zu können, fragst du dich.

Und du bist wütend. Und du solltest wütend sein. Es ist nicht fair, sagst du dir. Für alle anderen geht die Zeit weiter, nur für dich scheint sie stillzustehen. Mahnungen in Form von Bildern und Geräuschen prasseln auf dich ein. Und selbst wenn du im Bett liegst und alles leise sowie dunkel ist, musst du daran denken. Immerzu, als wäre es eine nie enden wollende Bestrafung, auferlegt von dir selbst.

Du hast nicht gewusst, wie du helfen sollst. Und es ist dieselbe Leere, die nach dir greift. Dasselbe sinnlose Verlangen, ins Nichts zu springen. Es ist derselbe Fehler, der auch alle anderen gepackt hat. Alle sind sie gegangen. Weil sie nichts mehr zu verlieren hatten. Und auch du überlegst dir, was dir noch geblieben ist. Du hältst eine mickrige Liste in der Hand, welche immer kürzer und kürzer wird. Irgendwann fallen auch die letzten Buchstaben vom Papier herunter. Und dann wandelst du ein letztes Mal durch das leere Haus, Zimmer für Zimmer, wie betäubt. Alle haben dich beiseitegeschoben. Alle haben dich im Stich gelassen. Niemand hat gewusst, wie dir zu helfen ist. Wen kümmert es, wenn unter Millionen von Sternen ein einziges Lichtlein erlischt, fragst du dich.

Du hättest bleiben sollen, sagst du dir. Aber du bist gegangen.


allein

Ich finde, du solltest allein sein.

Warum bleibst du nicht einmal liegen, wenn du aufwachst?

Warum hörst du nicht einmal zu, wie die Vögel im Garten singen?

Warum schaust du nicht einmal zu, wie das Licht durch das Fenster dringt?

Warum spürst du nicht einmal, wie dich die Natur auf diesen Tag vorbereitet?

Ich finde, du solltest allein sein.

Ich finde, du solltest allein sein – mit dir.

Warum schenkst du den Nachrichten nicht einmal so gar keine Beachtung?

Warum füllst oder leerst du deinen Bauch nicht einmal, ohne abgelenkt zu sein?

Warum lässt du die Verbindung heute nicht einmal deaktiviert und die Türen geschlossen?

Warum setzt du dich nicht einmal in Ruhe hin und achtest auf deine Atmung und deinen Schmerz?

Ich finde, du solltest allein sein.

Ich finde, du solltest allein sein – vielleicht mit mir.

Warum denkst du heute nicht einmal an gar nichts, außer an mich?

Warum schweigst du heute nicht einmal, wenn du nichts Wichtiges zu sagen hast?

Warum umarmst du nicht einmal die ganze Welt, wenn du endlich bereit dazu bist?

Warum glaubst du nicht einmal daran, dass alles irgendwie ein bisschen gut werden könnte?

Ich finde, wir können allein sein.

Ich finde, wir müssten viel öfter allein sein.

Was gibt es Besseres? – Nur du mit dir!


Schmetterlingseffekt

Einige mögen vielleicht wissen, dass die Theorie des Schmetterlingseffekts besagt, der Flügelschlag eines Schmetterlings könne einen Sturm auslösen. Obwohl die Chaosforschung durchaus ein Teilgebiet der Wissenschaft ist, kann das Beispiel des Schmetterlings nicht wortwörtlich genommen werden. Große fatale Auswirkungen können kleine banale Ursachen haben. Aber ein so zartes und verletzliches Geschöpf besitzt doch kaum die Macht, die Umwelt auf eine solche Weise zu beeinflussen. Und was, wenn doch? Was, wenn eine kaum wahrnehmbare Aktion eine unermesslich gewaltige Folge nach sich zieht? Möglicherweise steckt im Chaos sehr viel mehr Ordnung, als wir denken.

Farben. Zeichen. Immer dieselbe Handbewegung. Papier und Plastik. Wieder und wieder und wieder. Bald ist das Fach aufgefüllt, doch das nächste Loch hat sich bereits aufgetan. In den Handschuhen können meine Finger das Material nicht ertasten, aber das Gewicht lastet stark auf ihnen. Kekse und Bonbons, Zucker und Mehl, Reis und Nudeln, Tee und Kaffee, stets dieselben Sachen. Es ist eine nie enden wollende Tätigkeit, eine Aufgabe ohne Ziel.

Ich frage mich, ob es einen Sinn hat. Wie so oft kann ich mich nicht auf die Gegenwart konzentrieren, und die Gedanken prasseln nur so auf mich ein. Trägt diese Arbeit zum Gemeinwohl bei? Hat das, was ich tue, einen Nutzen? Wenn ich nicht wäre, würde ein Kunde möglicherweise sein Lieblingsgetränk nicht bekommen oder einen Tag ohne Milch auskommen müssen. Allerdings wäre ich innerhalb einer Woche ersetzt. Denn selbst ein Kind könnte diese Art von Arbeit verrichten.

Müde gehe ich nach Hause, an einen Platz, den ich nicht als Heimat bezeichne. Während ich einen Fuß vor den anderen setze und den Weg zurücklege, spielen sich in meinem Kopf noch einmal die Ereignisse der letzten Tage ab. Hauptsächlich handelt es sich um unbedeutende Erinnerungen wie etwa das monotone Einsortieren der Waren. Da sind aber auch diese fast schon wunderbaren Momente, welche von meinem Gedächtnis einfach zu wenig geschätzt werden.

Habe ich nicht einer Person geholfen, indem ich ihr etwas geholt habe? Habe ich eine Person denn nicht sogar zum Lächeln gebracht, indem ich mich für ihre Kunst interessiert habe? Habe ich mit einer Person nicht Freundschaft geschlossen, indem ich mich dafür bedankt habe, was sie für mich getan hat? Habe ich nicht das Herz einer Person berührt, indem ich ihr gesagt habe, wie unvergleichbar schön ihre Augen auf mich wirken?

Vielleicht sind es nicht die Dinge, mit denen wir uns identifizieren. Körper, Arbeit, Heimat, bloß Konstrukte des Egos. Vielleicht sind die kaum merklichen Taten viel wichtiger. Jemandem zu helfen. Oder zum Lächeln zu bringen. Versuchen, immer für Freunde da zu sein. Zu lieben. Dies sind jene winzigen Aktionen, welche gigantische Folgen nach sich ziehen. Voller unglaublicher Wunder. Sei selbst das Licht, das du in dieser Welt suchst. Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.


Kintsugi

Eine eingerissene Seite. Ein zerfranstes Hemd. Eine dreckige Figur. Ein zerkratztes Kissen. Wie es mich wahnsinnig macht. Wie sich mir die Härchen im Nacken aufstellen. Was für ein unangenehmes Gefühl das doch ist. Weg damit, weg!

Kintsugi: japanisches Nomen, zu Deutsch ›Goldflicken‹; eine traditionelle Methode zur Reparatur von Keramik, bei der Bruchstücke eines bestimmten beschädigten Gegenstandes mit Lack zusammengesetzt werden, welcher mit metallischem Pulver angereichert wurde.

Wunderschöne goldene oder silberne Risse durchströmen das Objekt und wirken wie die Fäden eines Insektes, und die Risse durchziehen auch mich. Zunächst erschaudernd, dann wohltuend.

Es ist faszinierend, einen kaputt gegangenen Gegenstand so zu reparieren, dass man seinen Zerfall nicht nur auf Anhieb feststellen kann, sondern diesen auch noch besonders hervorhebt. Man versucht erst gar nicht, den Misserfolg zu verbergen. Vielmehr schätzt man auf diese Weise die lange Zeit, die der Gegenstand bei seinem Besitzer verbracht hat. Gleichzeitig sorgt man dafür, dass sein Nutzen weiterhin gewährleistet wird. Und wie bei den Narben auf dem Bauch einer Mutter ist man sogar ein bisschen stolz darauf.

Eine zerknitterte Zeichnung. Ein beschmutztes Tuch. Eine verbogene Schüssel. Ein zerfleddertes Spielzeug. Wie wichtig mir diese Dinge doch sind. Durch ungewöhnliche Ereignisse sind sie in mein Leben getreten. Bei manchen von ihnen handelt es sich um Geschenke, geplante oder zufällige, die mir viel bedeuten. Um nichts auf der Welt würde ich sie eintauschen. Sie sind wunderschön.

Meine geliebten Kindheitsbücher mit den vielen Kakao-Flecken auf den Seiten? Will ich nicht missen. Sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Und zum ersten Mal kann ich das ohne Scham sagen.

Damals war ich kein Freund davon, etwas zu reparieren. Sobald der beschädigte Gegenstand ersetzt war, fühlte ich mich zufrieden. Heute überlege ich mir zwei Mal, bevor ich etwas Neues kaufe. Etliche nicht ganz so perfekte Dinge liegen in meiner Wohnung verteilt.

Was hat sich verändert? Vielleicht habe ich dazugelernt. Ein bisschen zumindest.


was ich bin und was ich tue

Ich bin ein Magier.

Ich lüge nicht; ich kann Magie wirken. Das bedeutet nicht, dass ich eine Pflanze herbeizaubern oder ein Tier verhexen kann. Aber ich kann Dinge tun, an die sich Menschen erinnern. Manch ein Wesen denkt vor dem Einschlafen, wenn es rastlos im Bett liegt und sich herumwälzt, an meine Taten zurück – und merkt plötzlich, wie wichtig diese eine kaum wahrnehmbare Tat gewesen ist.

Ich kann nicht verhindern, dass du Schmerz empfindest. Aber ich kann verhindern, dass Tränen fließen, indem ich dir zur Seite stehe. Ich kann nicht verhindern, dass du liebgewonnene Personen verlierst. Aber ich kann versuchen, ihre Funktion zu ersetzen, indem ich dir ein treuer Freund bin.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, stets die Wahrheit zu sagen. Das bedeutet nicht, dass ich niemals eine Notlüge erzähle. Und mit Sicherheit bewahre ich das eine oder andere Geheimnis für mich, sodass niemand je erfahren wird, was ich über dieses oder jenes denke. Aber ich habe den Unwahrheiten abgeschworen, weil sie mich zerstören. Aus diesem Grund werde ich dir sagen, was ich von dir halte.

Du bist perfekt. Vielleicht glaubst du mir nicht. Aber ich lüge nicht. Du hast in der Vergangenheit vermutlich schon einige Fehler begangen. Du wirst sicherlich auch in der Zukunft noch einige Fehler machen. Alleine die Tatsache, dass du etwas als Fehler empfindest, spricht dafür, dass du ein besserer Mensch sein willst. Lass die Ausreden sein, aber sei nicht zu streng zu dir. Gehe den Weg, den du dir ausgesucht hast, aber gehe ihn ohne Kompromisse, sonst verirrst du dich. Sei ehrlich zu dir selbst, denn nur so kannst du deine Träume Wirklichkeit werden lassen.

Du bist ein Teil des Ganzen; du bist alles. Das allwissende Universum hat dir drei Werkzeuge gegeben, um dir zu helfen, deine wahre Bestimmung zu finden. Lass dir von deinem Bauch sagen, was zu viel Anstrengung für dich ist. Fühlst du dich unwohl, ändere die Weise, wie du vorgehst. Lass dir von deinem Kopf sagen, welche Folgen deine Handlungen haben. Sei dir bewusst, dass viele Normen durchaus Sinn ergeben und mit welchen du brechen solltest. Lass dir von deinem Herz sagen, was zu tun ist. Wenn du ein Glücksgefühl empfindest, musst du es ergreifen. Sei stark genug, um zu überstehen, was nicht geändert werden kann. Sei weise genug, um zu erkennen, was nicht geändert werden kann. Und sei mutig genug, um zu verändern, was möglich ist.

Ich kann dich trotz oder sogar wegen deiner Fehler lieben. Das ist so ziemlich das einzige, was ich tun kann. Es ist nicht viel, aber vielleicht sogar das einzig wirklich Wichtige, meine ich. Also glaub mir, wenn ich diese eine Behauptung aufstelle, denn ich glaube fest daran.

Ich bin ein Magier.